3. Attraktoren

3.1 Der Punktattraktor

Attraktoren sind Werte bzw. Zustände, denen ein System zustrebt. Wenn Sie sich beispielsweise eine Doline, einen natürlichen Trichter, vorstellen, dann ist der unterste Punkt der Doline ein Attraktor: Jeder Wassertropfen, der in diesen Trichter kommt, wird versuchen, zu diesem Punkt zu fließen. Genauso versucht ein Pendel, dem Punkt des Stillstandes immer näher zu kommen. Dieser "Anziehungspunkt" wird von Chaostheoretikern Punkt-Attraktor genannt. (vgl. Briggs/Peat 1990, S. 45-49)

3.2 Der Grenzzykelattraktor

Ein Uhrpendel, das regelmäßig angestoßen wird, um "ewig" zu schwingen, verhält sich allerdings anders: Es hat immer den gleichen Maximalausschlag. Wenn es jetzt abgebremst wird, beschleunigt es immer mehr, bis es seinen ursprünglichen Maximalausschlag wieder erreicht hat. Genauso verhält es sich, wenn es zusätzlich beschleunigt wird: Es bremst bis zum ursprünglichen Zustand ab. Hier haben wir also nicht mehr einen Punkt als Attraktor vor uns, er wurde komplexer. Um den Attraktor besser erfassen zu können, werden die Schwingungsphasen des Pendels in einem Phasenraum eingetragen. Dieser ist in diesem Fall zweidimensional (eine Fläche) und wird durch die Energiezustände des Pendels gebildet: Wie in einem Diagramm werden potentielle (Höhe) und kinetische Energie (Geschwindigkeit) zu jedem Zeitpunkt eingetragen. Das Ergebnis dieser Darstellung ist dabei ein Kreis. Weil dieser einen Grenzzustand darstellt, den das Pendel immer wieder erreichen will, wird er "Grenzzykel-Attraktor" genannt. In der folgenden Grafik sieht man, wie sich Werte außerhalb des Grenzzykels zum Attraktor hinbewegen:

Grenzzykel-Attraktor

Genauso wie das Pendel folgt auch ein Räuber-Beute-Verhältnis (z. B. Hechte-Forellen) einem Grenzzykel-Attraktor: Dieses System beruht auf einem einfachen Gesetz: Je mehr Forellen es gibt, desto mehr werden sich die Hechte aufgrund dieses Nahrungsangebotes vermehren, je mehr Hechte aufwachsen, desto mehr Forellen werden gefressen, je weniger Forellen noch leben, desto mehr Hechte werden wegen Nahrungsmangel sterben, je weniger Hechte "im Umlauf" sind, desto besser können sich die Forellen vermehren, und der Kreislauf startet wieder von vorne. Setzt man in den Teich zusätzliche Forellen ein oder werden durch eine Krankheit viele ausgerottet, so wird das Verhältnis trotzdem wieder spiralförmig in den Grenzzykel zurücklaufen, das System ist daher sehr stabil. (vgl. Briggs/Peat 1990, S. 50-53)

3.3 Der Torus-Attraktor und seine "Steigerung"

Werden zwei Grenzzykel-Systeme aneinander gekoppelt, so wird der Kreis des Grenzzykels B von Grenzzykel A wieder im Kreis bewegt. So entsteht als Attraktor ein ringförmiges Gebilde, Torus genannt, wobei die zweidimensionale Oberfläche dieses Torus den Attraktor im dreidimensionalen Phasenraum bildet. So einem Torus-Attraktor folgen auch die oben beschriebenen Planetenbahnen, wobei er auch mehrdimensional werden kann, je nachdem, wie komplex das System wird, so glaubten die Physiker anfangs.

Doch bei dieser Vervielfältigung der Einflüsse mußte der französiche Physiker David Ruelle eine seltsame Beobachtung machen: Er untersuchte "Konvektionsströme", die entstehen, wenn beispielsweise warme Luft in der Wüste oder warmes Wasser in in einem Kochtopf aufsteigt. Dabei erfolgten die ersten Schritte erwartungsgemäß: Die anfangs glatte Strömung machte einer ersten Schwingung platz, der Punktattraktor wich dem Grenzzykel. Anschließend ging dieser in die Oberfläche eines Torus über. Aber dann geschah etwas eigenartiges: Statt daß die zweidimensionale Oberfläche des dreidimensionalen Torus zu einer dreidimensionalen Oberfläche eines vierdimensionalen Torus wurde, ging der Torus selbst in Stücke: Seine Oberfläche trat in eine "gebrochene Dimension" ein, die zwischen der zweidimensionalen einer Ebene und der dreidimensionalen eines Körpers liegt, und er wurde zum chaotischen "seltsamen" Attraktor.

Vorstellbar wird diese gebrochene Dimension mit einem Blatt Papier: Knüllen sie dieses sozusagen zweidimensionale Objekt zusammen. Je mehr sich dadurch chaotische Knicke und Falten bilden, umso mehr wird das Knäuel zu einem dreidimensionalen Körper, obwohl das Papier praktisch zweidimensional bleibt (die Dicke des Blattes als dritte Dimension ist bei dieser Veranschaulichung zu vernachlässigen). Solange es keine einfache Fläche mehr ist, aber auch noch kein ganzer Festkörper, hat dieses Blatt eine gebrochene Dimension, die zwischen der zweiten und dritten liegt.

Und im verzweifelten Versuch, durch angestrengtes Zappeln entweder eine höhere oder eine niedrigere ganzzahlige Dimension zu erreichen, zerknittert sich auch die Oberfläche unseres Torus-Attraktors, und weicht deshalb in eine gebrochene Dimension aus, wobei sie einen seltsamen Attraktor bildet. Solche seltsamen Attraktoren können bei verschiedensten komplexen Systemen, besonders auch in der Natur (Beispiel Wetter!), nachgewiesen werden. (vgl. Briggs/Peat 1990, S. 53-55 u. S.63-69)

Seltsamer Attraktor


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