Artmann

H. C. Artmann

med ana schwoazzn dintn

gedichta r aus bradnsee

Artmann

Hans Carl Artmann wurde am 12. 6. 1921 in Wien in einer Schuhmacherfamilie geboren. Er wuchs in der Vorstadt Wien-Breitensee auf, besuchte die Hauptschule und schrieb mit 14 Jahren die ersten Detektivgeschichten unter dem Synonym John Hamilton. 1940 wurde er zur Wehrmacht eingezogen, fünf Jahre später kehrte er wieder nach Wien zurück. Dort arbeitete im "Art-Club" und später mit Friedrich Achleitner, Konrad Bayer, Gerhard Rühm und Oswald Wiener in der "Wiener Gruppe" zusammen.

1960 verließ Artmann diese und wohnt heute nach Stockholm (1961), Berlin (1962/65/68), Lund und Malmö (1963-65) und Graz (1966-67) in Salzburg, ist aber dort auch nicht seßhaft. Wieviele Sprachen er beherrscht, ist ungewiß, als sicher gelten allerdings Dänisch, Englisch, Französisch, Gälisch, Jiddisch, Niederländisch, Schwedisch und Spanisch sowie Piktisch und Dacisch, die er selbst erfand. Und wie oft war er verheiratet? "Ich weiß es nicht mehr. Ich glaube dreimal", sagt er selbst.

H. C. Artmann dichtet im Sprachkostüm des Barock (u.a. Von den Husaren und anderen Seiltänzern, 1959) und in der Tracht des Wiener Dialekts (u.a. med ana schwoazzn dintn, 1958, sein erster großer Erfolg), bedient sich des Edda-Stoffes (Die Heimholung des Hammers, 1977) wie der gängigen Grusel- und Horror-Requisiten (u.a. dracula dracula, 1966), verfügt über Kasperltheater und soap opera, pop art und comic strip; er übersetzt / adaptiert (auch das kann man kaum trennen) jiddische Sprichwörter und lappische Mythen und bleibt dabei unverkennbar "H. C. Artmann, den man auch John Adderley Bancroft alias Lord Lister alias David Blennerhast alias Mortimer Grizzleywood de Vere & c. & c. nennt!"

Die Gedichte in Artmanns Band "med ana schwoazzn dintn" sind keine typischen Dialektgedichte, sie sind nur in der Wiener Mundart geschrieben, weil sie die Inhalte besser beschreiben kann und weil den Dichter schon immer das Experimentieren mit der Sprache reizte. Interessant ist allerdings, daß er diese Mundart mit dem normalen Alphabet, sogar reduziert um das v, ausdrückt, obwohl es im Wiener Dialekt mehr als zwanzig gesprochene Vokale gäbe. Für den Leser ist es auf jeden Fall weit einfacher, wenn er sich mit keinen neuen Schriftzeichen abgeben muß, allerdings ist es nicht unbedingt das leichteste, die entstehenden Wörter zu entziffern, die zum Beispiel "da gristoezuka", "de gebuazzdoxkinda r iwa r ochzk" oder "en naboleaun seine goidan odla" heißen.

Die unbestrittene Ausdruckskraft des Dialekts zeigt sich aber auch bald, wenn man "i hob en oidn auglant lossn en da bude" oder "es is do ee scho gaunz bowil" liest. Welche hochdeutsche Entsprechung will man da finden? Geben würde es diese vielleicht, allerdings würde sie wahrscheinlich nur mehr Gähn- oder Lachkrämpfe hervorrufen.

Das in den Gedichten öfter wiederkehrende "ringlgschbüü" beschreibt auch die Themenbereiche des Bandes, die über das ganze "Ringelspiel des Lebens" verteilt sind. Konkret findet man sehr vieles: Kindheitserinnerungen, Augenblicksgefühle, plötzliche Wünsche oder Einfälle und Liebesgedichte genauso wie der Zustand nach einer Sintflut oder gar nach dem Tod.

Artmanns Gedichte beschreiben viele große Gegensätze: In einem Gedicht schreibt er von den "wossaresawaas", die immer mehr werden, weil sich der "duascht" nie und nimmer aufhört, im unmittelbar folgenden sieht man schon die Folge des vielen Wassers, wenn es heißt: "noch ana sindflud san olawäu de fenztabreln fafäud...". Solche Philosophien sind prägend für H. C. Artmann, sie treten immer wieder in diesem Gedichtsband auf. Genauso interessant wirkt das "liad fon an besn geatna", in dem der Gärtner nachts die Blumen mit der Sichel massenweise niedermäht, wobei ihm "des bluad", gemeint ist der Saft der Pflanzen, "fon omd en d schuach" hineinrinnt. Der absolute Mörder ist der "ringlgschbüübsizza" namens "blauboad", der "scho sim weiwa daschlong" hat.

besa ringlgschbüübsizza Die bösen Männer in den Gedichten leiten sich aus Figuren ab, deren Zeichnungen H. C. Artmann in seiner Kindheit auf der Verkleidung eines - wie soll es anders sein - Ringelspiels gesehen hat. Die auf dem Müll wiedergefundenen Zeichnungen schmücken jetzt das Cover des Bandes "med ana schwoazzn dintn" und treten in den Gedichten darin unter anderem als "hea onkl", "blauboad", "besa geatna" und "kindafazara" auf. Nur durch diese Personen, deren Bilder das Ringelspiel "besaßen", ist der "ringlgschbüübsizza" als Mörder erklärbar.

Der Tod allerdings, eine weitere beherrschende Figur dieser Gedichte, der "schwoazze fogl", der "schneeane engl", wegen dem einem "glaaweis und launxaum winzege schdeandaln aus eis en de aungbram zun woxn aufaungan" , kann dort nicht abgebildet sein. Er bildet allerdings wieder eine Verbindung zu Wien, wo so mancher sein Lebtag in Leichenverein (!) einzahlt. Apropos Wien: Sogar der Mond wird bei Artmann zum "weana"!

Der Wiener Kunstkritiker Alfred Schmeller nennt diese Dialektgedichte "makabre Litaneien aus der Wiener Vorstadt, etwas absolut Neues, das schärfer ist als die bisherige Mundartdichtung, hintergründig, abgründig, das heißt, wirkliche Peripherie, geraunzter Humor, der hier den Stadtrand erreicht". Viel kürzer und treffender kann man dies aber mit H. C. Artmanns eigenen Worten ausdrücken:

Sie sind eben med ana schwoazzn dintn geschrieben...

blauboad 1

i bin a ringlgschbüübsizza
und hob scho sim weiwa daschlong
und eanare gebeina
untan schlofzimabon fagrom..

heit lod i ma r ei di ochte
zu einen libesdraum-
daun schdol i owa s oaschestrion ei
und bek s me n hakal zaum!

so fafoa r e med ole maln
wau ma d easchte en gschdis hod gem-
das s mii amoe darwischn wean
doss wiad kar mendsch darlem!

i bin a ringlgschbüübsizza
(und schlof en da nocht nua bein liacht
wäu i mi waun s so finzta is
fua de dodn weiwa fiacht..)


Worterklärung:
en gschdis gem
=den Sküs reiben:
aus dem Tarockspiel hergeleiteter Ausdruck für den Abbruch eines Liebesverhältnisses
noch ana sindflud

noch ana sindflud
san olawäu
de fenztabreln fafäud-
ka fogl singd mea en de bam
und de kefa schwiman en d lokn
med n bauch in da hee..

waun s d an bam beilsd
foen da dropfm aum huad
und en de kino drin
riacht s noch hei- und woefisch
de wos en ole rein xessn san..

noch ana sindflud
san olawäu
de fenztabreln fafäud-
owa mia san ole dasoffm
und kenan s goa nima seng
wia de gaunzn kefa so fakead daheaschwiman
mia kenan s a nima gschbian
wia r uns de owebeildn dropfm
fon de bam aum huad drepfön
uns ged a des gschraa fon de fegl nima r oo
und unsa nosn riacht nedamoe an schbenala mea
geschweige den an hei- oda woefisch..

noch ana sindflud
sama r ole medaranaund
saumt de hextn beag
d a s o f f m . . .


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